Montag, 22. Dezember 2008

Turbulenzen im Flugzeug: SPD-Politiker vor Gericht


SPD-Politiker Steffen Reiche (c) dpa

Der Bundestagsabgeordnete Steffen Reiche - ehemaliger Chef der SPD in Brandenburg - hat sich mit mit einer Stewardess angelegt und steht deswegen vor Gericht. Nicht das erste Mal, dass die Justiz sich um streitende Volksvertreter kümmern muss.



Über den Wolken ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Steffen Reiche in heftige Turbulenzen geraten und hat dann Kurs auf die Anklagebank genommen. Er soll einer Stewardess ein Bein gestellt haben. „Die Anschuldigungen sind völlig haltlos“, verkündete der frühere brandenburgische SPD-Chef und Bildungsminister und ließ es auf einen Prozess ankommen. Der Vorfall wird heute das Amtsgericht Tiergarten beschäftigen.

Der Flug SN2589 am 12. Januar 2007 von Brüssel nach Tempelhof: Die Atmosphäre zwischen Passagier Reiche aus der Economyklasse und der Stewardess Natascha O. war wohl von Anfang an recht angespannt. Erst soll der Politiker keine deutschsprachige Zeitung bekommen haben. Dann folgte der nächste Disput bei seinem geplanten Gang zur Businessklasse. Dort saß Ex-Minister Otto Schily (SPD). Natascha O. versperrte Reiche den Zugang – aus Sicherheitsgründen. Schließlich soll sie Reiche beim Landeanflug das Tablett entrissen haben.

Dort wartete bereits die Bundespolizei auf Reiche. Der 48-Jährige sagte später, er habe das für eine Verwechslung gehalten. Die Turbulenzen aber gingen weiter. Die Anzeige der Stewardess führte zu einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Körperverletzung – und die Angelegenheit erreichte den Bundestag. Der Immunitätsausschuss habe auf sein Bitten hin das Verfahren nicht unterbunden, erklärte Reiche im September. Die Staatsanwaltschaft erwirkte die Erlaubnis, einen Strafbefehl gegen den Abgeordneten zu beantragen. Der Politiker sollte 3000 Euro zahlen. Er aber legte umgehend Einspruch ein. Mitreisende könnten bestätigten, dass es kein Stolpern der Stewardess und damit auch kein Stolperbein gab.

Für das Moabiter Kriminalgericht gehört der Zoff im Flieger zu den letzten turbulenten Fällen in diesem Jahr. Heute wird sich im Saal 500 noch entscheiden, ob Schönheitschirurg Reinhard Sch., der sich für den Tod einer Patientin verantworten muss, aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Morgen beginnt der Prozess gegen einen 51-Jährigen, der einen Mann erstochen haben soll – dann wird es im Gericht bis zum 2. Januar ganz still.

Reiche ist nicht der erste Politiker, der erst mit einem Mitmenschen und dann mit der Justiz aneinandergeraten ist. Als Klassiker gilt die Affäre um den ehemaligen AL-Abgeordneten Dieter Kunzelmann. Er stand 1997 vor Gericht, nachdem er den Dienstwagen des damals Regierenden Bürgermeisters mit einem Ei beworfen hatte. Als Eberhard Diepgen als Zeuge vor Gericht erschien, gab es die nächste Attacke. Mit den Worten „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann“, zerschlug der damals 58-jährige Angeklagte ein Ei auf Diepgens Kopf. Kunzelmann wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt – ohne Bewährung.

Unvergessen auch der Duz-Prozess gegen den grünen Abgeordneten Öczan Mutlu: Der 40-Jährige war 2001 bei der Parkplatzsuche mit einem Polizisten in Streit geraten. Ein Wort gab das andere, dann fiel ein Du – und der Parlamentarier hatte eine Strafanzeige wegen Beleidigung am Hals. Mutlus Du wurde drei Jahre alt, mehrere tausend Euro schwer, es löste ein Immunitätsverfahren im Abgeordnetenhaus aus und ging bis vors Landgericht. Erst hier erklärte ein Richter das Du für erledigt: Freispruch. Und die Erkenntnis des Gerichts, dass beim Treffen zwischen Politik und Polizei offenbar die „erforderliche Nüchternheit“ abhandengekommen sei.

Auch der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann saß auf der Anklagebank des Amtsgerichts Tiergarten. Er hatte sich 2003 über Pannen bei den Ermittlungen gegen den TV-Moderator Michel Friedman geärgert und in einer Talkshow erklärt, was er von Berlins damaligem Generalstaatsanwalt hält: dieser sei „durchgeknallt“. Die Amtsrichterin verurteilte Naumann wegen Beleidigung zu 9000 Euro Strafe.

Egal, ob Lappalie oder nicht – eines haben alle angeklagten Politiker gemein: Sie weigerten sich, einen Strafbefehl – und damit eine Geldstrafe – zu akzeptieren. Deshalb war es zum Prozess gekommen. Dass es auch anders geht, hat im Sommer der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter bewiesen. Er hatte sich mit Bauarbeitern angelegt, die morgens um 5.45 Uhr in der Nachbarschaft lärmten. Nach einem Wortgefecht griff Benneter zum Gartenschlauch und bespritzte die Männer. Was folgte, war eine Anzeige gegen die Arbeiter wegen Körperverletzung. Der Politiker lenkte ein paar Tage später ein: Er zog die Anzeige zurück, fuhr zur Baufirma und brachte zwei Kästen Bier mit. Zur Versöhnung.

Quelle: tagesspiegel.de